Theater Forschung Ruhr

Im Rahmen der Vortragsreihe „Theater Forschung Ruhr“ stellen internationale Forscher*innen ihre aktuelle Arbeit in einem wissenschaftlichen Vortrag vor.

Marten Weise: „Dialog nach dem Dialog. Eine Denkfigur in Theater, Literatur und Theorie nach dem bürgerlichen Trauerspiel“

Dienstag, 28. Januar 2025, 18-20 Uhr, BlueSquare 5. Stock

(Veranstaltung im Rahmen des Institutskolloquiums Theaterwissenschaft)

Der Dialog ist das entscheidende formale Merkmal des bürgerlichen Theaters um 1800. In ihm kommen Gattungspoetologie und idealistisch-aufgeklärte Perspektive auf den Menschen als Handlungsträger in der Welt und der dramatischen Literatur zusammen. Dass das Theater die Vorstellungen von der bürgerlichen Gesellschaft formt, verdeutlicht etwa G. E. Lessings Hamburgische Dramaturgie, in der die Idee einer sich in der Sprache des Dialogs fühlenden Menschheit verhandelt wird. Dieses für das Theater wie die soziale Sphäre kolportierte Dialog-Ideal gilt heute als überholt. Schon seit dem 19. Jahrhundert verdeutlichen Kommunikationskrisen, Modernitätserfahrungen unterschiedlicher Ausprägung und gesellschaftliche Entfremdung zunehmend, dass die Behauptung der Möglichkeit eines symmetrischen Dialogs bestehende Ungleichheiten und konkrete Machtverhältnisse vielmehr verschleiert, statt sie aufzuheben. Nicht zuletzt ist die Annahme einer allgemeinen Vernunftgrundlage seit Auschwitz fragwürdig geworden.

In dem auf seinem 2024 erschienenen Buch „Dialog als Denkfigur“ beruhenden Vortrag stellt Marten Weise die Frage nach einem „Dialog nach dem Dialog“, die den Dialog – anstatt ihn zu verwerfen – ausgehend von Widersprüchen und Unzulänglichkeiten sowie einer geschichtsphilosophischen Beschreibung als unerfülltes Ideal und missglückte Verwirklichung neu zu verstehen sucht.

Dr. Marten Weise forscht und lehrt an der Schnittstelle von Literatur, Theater und Philosophie. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für deutsche Literatur der HU Berlin und im BMBF-Projekt „Dramaturgien eines Archivs“, wo er DDR-Theatergeschichte(n) im Inszenierungsarchiv der HfS Ernst Busch Berlin erforscht. Zuvor war er u. a. an den Instituten für Theater-, Film- und Medienwissenschaft und Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft an der Goethe-Universität Frankfurt am Main tätig (2016/17, 2021-2024) und Promotionsstipendiat der Hans-Böckler-Stiftung (2017-2021).

Pedzisai Maedza: „Speaking for the Dead: Contemporary Performance Artists in the Archive“

Tuesday, 3rd December, 6-8 pm, Campus RUB, Room: GB 5/160

Lecture in English

This talk considers the role of performance dramaturgy in remembering, memorializing and sustaining the memory of the 1904 to 1908 genocide in Namibia, sometimes dubbed Germany’s forgotten genocide. It frames performance as a media through which this history is narrated and transmitted. The talk interrogates how contemporary artistic and cultural performances and performance-makers inform the ways in which the history of colonial genocide and the present are presented and remembered. It investigates how memories circulate across time and place- transnationally and across generations in response to the social amnesia surrounding the first genocide of the 20th Century. This cross-border and trans-generational reflection is essential to understanding how the genocide in Namibia has and is articulated, circulated, and remembered through performance.

Pedzisai Maedza is an Assistant Professor in Theatre, Drama and Performance Studies at University College Dublin, Ireland. Prior to this he was a British Academy Newton International Fellow at the University of Warwick, United Kingdom. He is the author of Performing Asylum: Theatre of Testimony in South Africa and has published several book chapters and peer-reviewed articles in internationally recognised journals on Performance, Genocide and Cultural Memory.

This lecture is organized in cooperation with Prof. Dr. Henriette Gunkel and Dr. Julia Schade from the Institute of Media Studies.

Ruth Sonderegger: „Emancipation or Violence? Aesthetic Education from Kant to Spivak“

Thursday, 12th December, 6-8 pm, Campus RUB, Room: GB 5/160

zum Videomitschnitt (Passwort auf Anfrage)

Lecture in English

Recent writings by Jacques Rancière and Gayatri Spivak suggest that Kant and Schiller’s theories of aesthetic education have a vogue, and that aesthetic education is (still) considered particularly emancipatory. In my talk I will first argue that Kant and Schiller’s accounts of aesthetic education are all but unproblematic; especially if judged on their respective emancipatory aspirations. In a second step I will investigate into circumstances under which aesthetic experiences might work in an emancipatory way, nevertheless; in a way, however, that goes against the grain of Kant and Schiller’s theories of aesthetic education. In my conclusion, which is also an overture, I will finally return to Spivak and Rancière but with the aim of transcending them in favour of Fred Moten’s social aesthetics.

Ruth Sonderegger is Professor of Philosophy and Aesthetic Theory at the Academy of Fine Arts Vienna. Her main fields of research are the history of aesthetics (in the context of colonial capitalism), practice theories, and cultural as well as resistance studies. Together with Katja Diefenbach and Pablo Valdivia she is currently conducting a research project entitled “Perception, Jurisdiction, and Valorization in Colonial Modernity. On the Nexus of Accumulation, Race, and Aesthetics (https://accumulation-race-aesthetics.org/). Her publications include Art and the Critique of Ideology After 1989 (co-edited with E. Birkenstock, M. J. Hinderer Cruz, and J. Kastner, 2013); Pierre Bourdieu und Jacques Rancière. Ästhetisches Regime oder ästhetische Disposition? (co-edited with J. Kastner, 2014); Vom Leben der Kritik. Kritische Praktiken – und die Notwendigkeit ihrer geopolitischen Situierung, 2019; Polyphone Ästhetik (co-authored with Christoph Brunner, Sofia Bempeza, Katharina Hausladen, and Ines Kleesattel, 2019). She is part of the publishing collective transversal texts (https://transversal.at/).

Philipp Goll: „Die andere Seite der Pipeline|Extraktivistische Infrastrukturen zwischen Ruhrgebiet, Ukraine und Sibirien

Mittwoch, 18. Dezember, 18-20 Uhr, Uni 105 EG, 014 (Universitätsstr. 105, 44789 Bochum)

Um Anmeldung via Mail an das-dokumentarische@rub.de wird gebeten.

Eine Veranstaltung in Kooperation zwischen Theater Forschung Ruhr und dem Graduiertenkolleg „Das Dokumentarische“.

Die aus einer gemeinsamen Recherche von Oleksiy Radynsky, Hito Steyerl und Philipp Goll hervorgegangene Ausstellung „Leak. Das Ende der Pipeline“ (MdBK Leipzig 2024) betrachtet den andauernden Russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine aus der Perspektive der langen Geschichte des Russischen Imperialismus. Eine These ist, dass der Extraktivismus Dreh- und Angelpunkt für die heutige koloniale Politik Russlands ist und sich maßgeblich unter deutscher Beteiligung entwickelte. Im Mittelpunkt steht das „Jahrhundertgeschäft“ über Erdgas-Lieferungen zwischen der Bundesrepublik und der Sowjetunion, das am 1. Februar 1970 im Essener Kaiserhof unterzeichnet wurde. In diesem Dreiecksgeschäft wurden Stahlrohre aus den Mühlheimer Werken der Mannesmann-AG gegen Sibirisches Erdgas getauscht und von der Essener Ruhrgas AG vertrieben. Der Deal war zentral für die „Neue Ostpolitik“ unter Willy Brandt (SPD), die unter dem Motto „Wandel durch Handel“ politische Entspannung durch wirtschaftliche Verflechtung zu erwirken versuchte.
Heute ist die andere Seite des als Friedensprojekt lancierten Erdgas-Röhrentauschs offensichtlich. Vor allem die Ukraine wurde darin zur Verhandlungsmasse, wie zuletzt die russische Invasion in der Ukraine 2022 deutlich machte. Wenig bekannt ist dagegen, dass mit dem russisch-deutschen extraktivistischen Joint-Venture zur Erschließung fossiler Energiequellen eine Zerstörung von Natur und indigenem Lebensraum verbunden ist. Während Willy Brandt dank des Energiehandels vermeintlich „sauberes“ Erdgas importierte und damit sein umweltpolitisches Versprechen – „Der Himmel über dem Ruhrgebiet muss wieder blau werden“ – unterstrich, wurde der Dreck der imperialen Lebensweise urbaner Zentren im Westen nach Sibirien ausgelagert. Dort durchziehen die extraktivistischen Infrastrukturen Gebiete wie z.B. die Jamal-Halbinsel, die nicht nur die gigantischen Erdgasfelder beherbergt, sondern Lebensraum für die seit Jahrhunderten mit ihren Rentieren nomadisch lebenden Nenzen ist, deren traditionelle Lebensweise der Extraktivismus zerstört.

Philipp Goll wird in dieser Veranstaltung das gemeinsame Rechercheprojekt vorstellen und einige Bestandteile präsentieren. Im Anschluss ist Zeit zur gemeinsamen Diskussion über das konkrete Projekt sowie übergreifende Diskurse rund um extraktive Infrastrukturen, Imperialismus und Kolonialismus sowie die Rolle ästhetischer Fragen und künstlerischer Arbeit in diesem Kontext.

Organisiert und moderiert wird der Abend von Gerko Egert (Institut für Theaterwissenschaft), Philipp Hohmann (Das Dokumentarische) und Lana Uzarashvili (Das Dokumentarische).

Archiv

Sommersemester 2024

Wintersemester 2023/24

Sommersemester 2023

Sommersemester 2022

Wintersemester 2021/22

Sommersemester 2021

Wintersemester 2019/20

Sommersemester 2019

Wintersemester 2018/19